Wie funktioniert der Europäische Emissionshandel für die Stahlindustrie und welche CO2-Kosten resultieren daraus für die Hersteller? Die Antwort auf diese Frage ist kompliziert, bringt aber durchaus überraschende Erkenntnisse. Denn durch zahlreiche Sonderregeln wird die Wirkung des Emissionshandels verwässert. Wie der Vergleich der tatsächlichen Emissionen mit den kostenfrei zugteilten Zertifikaten zeigt, sind im aktuellen System die Belastungen geringer als oft behauptet. Einzelne Unternehmen können offenbar sogar von der Teilnahme am Emissionshandel profitieren. Erst 2026 wird sich daran etwas ändern.
Stahlmarkt Consult Blog
Diese Prognose ist dramatisch: Der Weltstahlverband worldsteel erwartet für die Stahlnachfrage in Deutschland in diesem Jahr einen Rückgang um 10% auf nur noch 29,2 Mio. Tonnen. Dies ist unter den großen Stahlverbraucherländern der mit Abstand schwächste Wert. Seit 2018 ist der hiesige Markt um mehr als 25% geschrumpft. Während der unerwartete Höhenflug der Stahlpreise in den Jahren 2021/2022 die Nachfragekrise verdeckt hat, wird diese nun zur Unzeit voll sichtbar. Denn nicht nur sind Stahlhersteller seit dem Sommer wieder mit höheren Rohstoffkosten konfrontiert. Die Ertragsperspektiven haben sich verschlechtert. Bei der aktuellen Standort-Debatte und mit Blick auf die Dekarbonisierung muss die Nachfrageseite mehr beachtet werden.
Der Weg über die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff ist nicht die einzige Möglichkeit zur Dekarbonisierung der Stahlerzeugung, dominiert aber die Diskussion insbesondere in Deutschland. Die heute mit Hochöfen arbeitenden Stahlhersteller beginnen mit der Umsetzung entsprechender Konzepte. Doch Einzelheiten der im Juli freigegebenen staatlichen Mittel für ThyssenKrupp Steel und die kürzlich veröffentlichte Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung werfen Fragen auf. Wann und zu welchen Kosten grüner Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stehen wird, ist offen. Nicht (nahezu) CO2-freier, sondern in unterschiedlichem Maße CO2-reduzierter Stahl wird die Hochlaufphase prägen.
Am deutschen Spotmarkt sind Preise für Flachstahl im 1. Quartal – auch aufgrund von Sondereinflüssen - unerwartet stark gestiegen. In den vergangenen Wochen hat aber eine Kehrtwende eingesetzt. Im Mai sind die Abwärtskräfte stärker geworden, so dass in den kommenden Wochen mit weiteren Preisrückgängen gerechnet werden kann. Die Preise für baunahe Langprodukte, die schon unter dem Stand vom Jahresanfang liegen, stehen ebenso unter Druck. Die Aussichten für das zweite Halbjahr sind aus Herstellersicht bescheiden.
Mit Förderbescheiden über 1 Mrd. € an die Salzgitter AG hat in Deutschland die großflächige staatliche Unterstützung der grünen Transformation der Stahlindustrie begonnen. Vieles spricht dafür, dass die Branche in der EU in ein neues, lang andauerndes Subventions-Zeitalter eintritt. Eine aus privaten Mitteln finanzierte grüne Stahlindustrie scheint derzeit nur in Nordeuropa machbar. Ob in Deutschland jemals eine auf eigenen Füßen stehende, grüne und international wettbewerbsfähige Stahlindustrie erreicht werden kann, ist offen. Die breite öffentliche Finanzierung ist zwar aus Unternehmenssicht nachvollziehbar, aus volkswirtschaftlicher Sicht aber fragwürdig. Die Vorstellung, bisherige Stahlstandorte mit etwas Anschubfinanzierung zu Vorreitern der neuen grünen Zeit zu machen, scheint naiv. Eine ehrliche Diskussion über die Zukunftsperspektiven unter geänderten Bedingungen ist erforderlich. Dabei müssen auch die Belange der Stahlverarbeiter berücksichtigt werden, die in der Diskussion viel zu kurz kommen.
Die EU-Institutionen haben im Dezember eine politische Einigung zur Einführung eines CO2-Grenzausgleichs erzielt. Dieser „Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM)“ wird schon am 01. Oktober 2023 mit einer Einführungsphase starten und soll dann am 01. Januar 2026 mit der Implementierungsphase scharf gestellt werden. Das neue Instrument der EU-Klimaschutzpolitik ist bislang vorwiegend unter politischen und volkswirtschaftlichen Aspekten diskutiert worden. Dagegen finden die praktischen Konsequenzen für Importeure nur wenig Beachtung. Dabei lassen die bisherigen Informationen Schlimmes befürchten. Importeure der von CBAM erfassten Erzeugnisse müssen sich auf einen erheblichen bürokratischen Aufwand einstellen. Der Import aus Drittländern wird gegenüber der bisherigen Praxis deutlich komplizierter und unberechenbarer. Unternehmen sollten jetzt mit den Vorbereitungen beginnen.
Am Jahresende 2022 haben die Stahlpreise am Spotmarkt ein Niveau erreicht, das Stahleinkäufer im Frühjahr mehr erhoffen als erwarten konnten. Stahl ist immer noch nicht billig, aber wieder zu realistischen Bewertungen zurückgekehrt. Ist damit eine neue Phase der Stabilität eingeleitet oder handelt es lediglich um eine kurze Ruhephase, bevor wieder neue Stürme aufbrausen? Manche Marktteilnehmer trauen dem Frieden nicht. Die Versorgungskrise 2020/2021 sitzt tief in den Köpfen fest. Obwohl es manche Parallelen dazu gibt, ist eine Wiederholung der damaligen Entwicklung nicht wahrscheinlich.