Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Braucht Europa eine neue Stahlpolitik?

Am 12. Februar 2013 hat der von der Europäischen Kommission veranstaltete „High-level Round Table on the future of the European Steel Industry“ ein Papier mit Empfehlungen zur künftigen europäischen Stahlpolitik veröffentlicht. Es sieht so aus, als ob die europäische Stahlindustrie gut zehn Jahre nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrages endgültig wieder in den Fokus der Brüsseler Politik gerückt ist – oder nach Ansicht mancher Akteure wieder rücken soll. Kann also eine neue europäische Stahlpolitik einen wirksamen Beitrag zur Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen leisten?

Zunächst zum Hintergrund: Im Juli 2012 hat der EU-Kommissar für Industrie, Tajani, in Kooperation mit dem Kommissar für Arbeit, Andor, den High-Level Roundtable (HLR) initiiert. Er sollte als Plattform für den Dialog zwischen den beiden Kommissaren und Vertretern von Stahlindustrie und Gewerkschaften dienen. Vertreter der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments waren als Beobachter eingeladen. Ziel war es, die Haupteinflussfaktoren auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Stahlindustrie zu identifizieren und konkrete Empfehlungen an die Kommission und an die Mitgliedstaaten zu entwickeln. Der HLR hat bisher unter durchaus reger Beteiligung drei Treffen abgehalten und nach dem letzten Treffen im Februar seine Empfehlungen veröffentlicht. Diese sind nicht bindend, werden aber sicher die Basis der weiteren Gespräche bilden.

In einer Mitteilung der Kommission heißt es, die erarbeiteten Vorschläge müssten von der Kommission, den Mitgliedstaaten und der Industrie „in den nächsten Jahren“ geprüft werden. Allerdings hat die Kommission angekündigt, schon bis zum Juni 2013 einen Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie vorzulegen, der der Branche helfen solle, die gegenwärtigen Herausforderungen zu bewältigen und Innovation, Wachstum und Beschäftigung zu fördern.

Grundsätzlich ist an dieser Initiative zunächst einmal bemerkenswert, dass es sie überhaupt gibt. Die EU-Kommission führt in ihrem Memo zur Veröffentlichung der Empfehlungen aus, dass die Stahlindustrie nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrages den allgemeinen Regeln der EU unterliege und behandelt werde wie jeder andere europäische Industriezweig. Faktisch dürfte es aber kaum einen anderen Industriezweig von einer mit vergleichbarer Größenordnung geben, um den sich die Kommission so intensiv kümmert. Dies dürfte daran liegen, dass die aus EGKS-Zeiten stammende Sonderrolle des Sektors in Brüssel immer noch präsent ist – in den Köpfen, aber auch in Form immer noch bestehender Netzwerke. Der Anschein, dass hier eine Branche doch ein bisschen gleicher als andere behandelt wird, drängt sich auf.
Schaut man sich die in einem 25seitigen Papier dargelegten Empfehlungen der Gruppe im Einzelnen an, fällt auf, dass das drängendste Problem der europäischen Stahlindustrie, nämlich die bestehenden Überkapazitäten, eher am Rande vorkommt. Das Wort „Überkapazität“ taucht nicht auf, vielmehr wird in der Einleitung von „derzeit 30-40 Millionen Tonnen ungenutzter Rohstahlkapazität in der EU“ gesprochen. Später wird darauf hingewiesen, dass mit der Bauwirtschaft und der Automobilindustrie zwei Schlüsselabnehmerbranchen besonders hart von der ökonomischen Krise in der EU betroffen sind. Als nachfrageseitige Gegenmaßnahme wird empfohlen, bei den EU-Programmen zur Förderung dieser Branchen besonders auf die stahlspezifischen Elemente zu achten. Weiterhin sollte die Kommission analytische Instrumente für den Stahlmarkt entwickeln, um global und auf EU-Ebene die Balance von Angebot und Nachfrage zu kennen und zu antizipieren.

Auch im Abschnitt über Beschäftigungspolitik werden die „ungenutzten Kapazitäten“ angesprochen. Es sei eine Festlegung darüber notwendig, ob die Situation eher auf den gegenwärtigen wirtschaftlichen Tiefpunkt oder auf die strukturelle Verfassung des Stahlsektors zurückzuführen sei. Wer diese Festlegung auf Basis welcher Kriterien treffen soll, wird nicht gesagt. Die zu diesem Thema empfohlenen Maßnahmen setzen sich zusammen aus verschiedenen Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, dem Ruf nach (finanziell geförderten) Maßnahmen zur Abfederung der von Kapazitätsabbau betroffenen Beschäftigten und dem Vorschlag, eine Task-Force zu bilden, die jede einzelne Werksschließung oder deutliche Kapazitätsminderung untersuchen soll.

Weder die Analyse zu diesem Thema noch die daraus abgeleiteten Empfehlungen fallen besonders überzeugend aus. Letztlich kann die Entscheidung zu Werksschließungen nur eine unternehmerische sein. Alles andere ist nur Beiwerk, aus dem sich jede betroffene Seite das Passende herauspicken kann. Nicht umsonst hat es ArcelorMittal abgelehnt, die für Werke in Belgien, Frankreich und Luxemburg beschlossenen Umstrukturierungsmaßnahmen zurückzustellen, bis die Kommission im Sommer ihren Aktionsplan vorgelegt hat. Mit einer entsprechenden Forderung war EU-Kommissar Tajani kurz nach dem HLR-Treffen in der Presse zitiert worden.

Unter den insgesamt acht aufgeführten Themenfeldern nehmen die Bereiche Energie, Klima- und Umweltpolitik den breitesten Raum ein. Hier werden die spezifischen Belange der Stahlindustrie aufgeführt und entsprechende Empfehlungen an die Kommission ausgesprochen. Es ist legitim, wenn die teilweise stark betroffene Industrie versucht, ihre Interessen aktiv in den hart umkämpften Brüsseler Meinungsbildungprozess einzubringen. Ob dies in Form von Runden Tischen und Aktionsplänen der EU-Kommission geschehen muss, kann zumindest diskutiert werden.

Ärgerlich wird es aber, wenn Empfehlungen ausgesprochen werden, die weit über die Stahlindustrie hinaus gehen. Dies betrifft vor allem die im Abschnitt „Handelspolitik und internationaler Wettbewerb“ zu findende Aufforderung an die Kommission, die Machbarkeit einer „quality certification for steel-using products“ zu prüfen. In diesem Abschnitt sind zudem weitere Hinweise zum „Schutz“ der europäischen Stahlindustrie versteckt, deren Anwendung potenziell zu Lasten der europäischen Stahlverarbeiter gehen könnte. Diese waren aber an der Ausarbeitung des Forderungskataloges nicht beteiligt.

Insgesamt bleibt der Eindruck: Die Kommission will aus alter Tradition heraus und aufgrund des von Gewerkschaften und Teilen der Stahlindustrie ausgeübten Drucks etwas tun. Nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrages fehlen ihr aber die Instrumente für echte Eingriffe in den Markt und somit zur Lösung der drängendsten Probleme. So wird die wichtigste Wirkung des angekündigten Aktionsplans wahrscheinlich eine erhöhte öffentliche Sichtbarkeit des Sektors sein. Gerade im Bereich der Klima- und Energiepolitik kann dies dazu beitragen, dass die Stahlindustrie auf nationaler und EU-Ebene mehr Verständnis für ihre Lage findet. Größte Herausforderung für die Branche wird es dabei sein, eine wieder stärkere Verknüpfung der Wörter „Stahl“ und „Krise“ zu vermeiden. Denn damit würde mancher Imageerfolg der vergangenen Jahre wieder zunichte gemacht.

Die Rolle der Kommission in diesem Prozess ist durchaus kritisch zu hinterfragen. Der Eindruck eines Sonderstatus der Stahlindustrie sollte vermieden werden. Auf jeden Fall sollte daher im weiteren Diskussionsprozess auf eine ausgewogene Berücksichtigung der gesamtindustriellen Interessen und auf die Vermeidung von bürokratischen Doppelstrukturen geachtet werden. Denn nicht alle Probleme können in Brüssel gelöst werden.

© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Nachdruck und Verwendung mit Quellenangabe ist erlaubt.

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