Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Harte Zeiten für EU-Stahlindustrie

Für EU-Stahlhersteller sind wieder harte Zeiten angebrochen. Gleich an mehreren Stellen ist die Branche mit enormen Herausforderungen konfrontiert: Hoher Einfuhrdruck, schwache Nachfrage, große Unsicherheit bei den Rahmenbedingungen. Der noch im ersten Halbjahr vorhandene vorsichtige Optimismus ist weitgehend verschwunden. Nicht alle Probleme können auf China geschoben werden. Die Hersteller sind jetzt auch gefordert, eigene Antworten auf eine internationalisierte Stahlwelt zu geben. Die Politik wird nur bedingt helfen können. Wichtig und erforderlich ist es aber, neue Belastungen aus der Klima- und Energiepolitik zu vermeiden.

Kaum ein Branchentreff, kaum ein Quartalsbericht von Stahlunternehmen, der nicht die gestiegenen Stahleinfuhren aus China als Hauptursache für verschlechterte Unternehmensergebnisse und kassierte Prognosen benennt. Die Tatsache, dass auch Marktsegmente betroffen sind, bei denen Importe aus China kaum eine Rolle spielen, zeigt aber schon alleine, dass das Argument „China“ verkürzt ist.

Nach einer Schätzung der Wirtschaftsvereinigung Stahl werden in diesem Jahr gut 31 Mio. Tonnen Walzstahl aus Drittländern in die EU geliefert werden. Das ist ein deutlicher Zuwachs von 19% gegenüber 2014. Mit 33% fällt der Anstieg bei den Lieferungen aus China noch stärker aus, die in diesem Jahr auf 6 Mio. Tonnen steigen sollen. Vergleicht man längere Zeiträume, fällt der prozentuale Anstieg noch eindrucksvoller aus. Diese hohe Dynamik, die im Jahresverlauf zudem an Fahrt gewonnen hat, ist sicher eine große Herausforderung für die europäischen Unternehmen.

Andererseits muss auch darauf hingewiesen werden, dass der Marktanteil der Einfuhren aus allen Drittländern an der gesamten Marktversorgung der EU auch nach diesem Anstieg nur bei 21% liegen wird. Wenn man bedenkt, in welcher Geschwindigkeit sich der Stahlmarkt in den letzten Jahren internationalisiert hat, in welchem Umfang außerhalb Europas moderne Stahlwerke gebaut worden sind und wie schnell chinesische Anbieter auch in ganz anderen Branchen Weltmarktanteile gewonnen haben, dann konnte es eigentlich nicht überraschen, dass neue Anbieter am EU-Stahlmarkt auftauchen. Angesichts der Verhältnisse am globalen Stahlmarkt scheint der jetzt erreichte Marktanteil von Drittlandanbietern nicht ungewöhnlich hoch.

Daher klingen die gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen nach einem entschlossenen Vorgehen gegen Einfuhren (nicht nur) aus China seltsam defensiv. Denn während die Motivation und die Hintergründe der exportierenden Anbieter in allen Facetten thematisiert werden, kommen die Motive der Käufer des importierten Stahls nicht so oft zur Sprache. Warum gelingt es EU-Herstellern seit Jahren nicht, ihre Marktanteile auf dem heimischen Markt zu erhöhen? Warum haben in diesem Jahr bei einigen Erzeugnissen die Angebote aus Brasilien, China, Russland, der Ukraine, Süd-Korea oder anderen Ländern in atemberaubender Geschwindigkeit ihre Abnehmer gefunden?

Ja, diese Anbieter rufen in vielen Fällen Preise auf, die deutlich unter dem EU-Niveau liegen. Und ein niedrigerer Preis ist immer ein potenzielles Kaufargument für Stahlverbraucher, die selbst im internationalen Wettbewerb stehen. Den Kunden interessiert es zunächst nicht, ob ein günstiger Preis nun durch staatliche Subventionen, durch vorteilhafte Wechselkurse, durch moderne Anlagen oder durch fehlende Umweltauflagen in den Herkunftsländern zustande kommt. Die meisten Kunden werden den Preis aber in Relation zur gebotenen Produkt- und Servicequalität setzen. Wenn sich so viele Stahlkunden in so kurzer Zeit entscheiden, auf diese Angebote zuzugreifen (und nicht bald wieder zu EU-Lieferanten zurückkommen), dann haben die EU-Hersteller ein echtes Problem. Dann bedeutet das nämlich, dass sie in vielen Fällen nichts zu bieten haben, was für den Kunden ihren höheren Preis rechtfertigt.

Wer hier auf der Anbieterseite nichts Überzeugendes im Köcher hat, wird in nächster Zeit große Probleme bekommen. Das globale Wettbewerbsumfeld wird sehr hart bleiben. Weltweit haben viele Stahlhersteller technologisch enorm aufgeholt und können auch von Kostenvorteilen profitieren. Ein schwacher Euro oder Antidumpingzölle bieten den EU-Herstellern vielleicht temporären Schutz, sie werden aber den Trend eines intensivierten globalen Wettbewerbs nicht aufhalten.

Zudem zeigt die inländische Stahlkonjunktur deutliche Zeichen der Schwäche. Wie die Wirtschaftsvereinigung Stahl meldet, sind die Auftragseingänge der deutschen Werke an Walzstahl im dritten Quartal um gut 11% gegenüber dem Vorjahr gesunken. Bestellungen in Höhe von 8,15 Mio. Tonnen markieren den niedrigsten Stand seit dem 4. Quartal 2009. Der Auftragsbestand der deutschen Werke hat mit nur noch 6,7 Mio. Tonnen den tiefsten Stand seit März 2009 erreicht. Dies ist eine veritable Nachfrage-Krise. Die schon seit dem zweiten Halbjahr 2014 sichtbare Schwäche der Inlandsnachfrage hat sich im dritten Quartal 2015 noch einmal verschärft. Obwohl Lagereffekte aufgrund der seit dem Sommer sinkenden Stahlpreise sicher einen großen Teil des jüngsten Rückgangs verursacht haben, spielt doch auch eine Rolle, dass trotz relativ guter Konjunkturentwicklung der Stahlbedarf in Deutschland schon seit Längerem nicht mehr steigt. Die im Vorjahr noch stützend wirkenden Bestellungen aus dritten Ländern sind im Jahresverlauf bis September um mehr als 20% eingebrochen.

Die Mischung aus rückläufigen Mengen und Stahlpreisen, die stärker als die Rohstoffkosten sinken, ist es, die die Lage derzeit so explosiv macht. Die Wirkung dürfte sich noch verstärken, wenn die gesunkenen Spotmarktpreise mit dem Jahreswechsel auch bei den zu erneuernden längerfristigen Kontrakten ankommen werden. Zwar dürfte die Nachfrage wieder anziehen, wenn der Markt den Tiefpunkt der Preise als erreicht ansieht. Größere Nachfragesprünge sind aber in den kommenden Jahren wenig wahrscheinlich.

Umso nachvollziehbarer ist es, dass die Branche sich vehement gegen weitere Belastungen in der Energie- und Klimapolitik wehrt. Besonders bedrohlich ist die geplante Verschärfung des EU-Emissionsrechtehandels, wie sie die Europäische Kommission für den Zeitraum ab 2021 vorgeschlagen hat. Auch wenn die Modellrechnungen zur den Stahlherstellern drohenden finanziellen Belastung an der ein oder anderen Stelle hinterfragt werden können: Existenzbedrohend für den Stahlstandort EU sind sie allemal. Nimmt man den gesunden Menschenverstand als Maßstab, dann macht das ganze Vorhaben keinen Sinn. Denn in der globalen Sicht wird für den Klimaschutz durch einseitige Belastungen der eigenen Industrie nichts erreicht.

Laute Rufe und breite Koalitionen der Stahlindustrie, wie sie in den vergangenen Monaten zunehmend sichtbar wurden, sind in der Klimapolitik absolut nötig und sinnvoll. Dass sie Erfolg haben werden, kann man nur wünschen. Leider zeigt sich immer wieder, dass selbst das stärkste Argument bei so manchem Klimapolitiker keinerlei Wirkung zeigt.

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