Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Leitet China das Ende des aberwitzigen Stahlpreisanstiegs ein?

Der aberwitzige Anstieg der Stahlpreise hat sich im Mai fortgesetzt. Die Spotmarktpreise für Flachprodukte scheinen keine Grenze zu finden. Nun haben auch die in den Vormonaten auf hohem Niveau noch relativ stabilen Preise für baunahe Langprodukte einen mächtigen Satz nach oben gemacht. Ein vollkommen überhitzter Weltmarkt hat diese Entwicklungen begünstigt. Nun kommen in China von der höchsten politischen Ebene aber Rufe nach Mäßigung. Die Folge: ein deutlicher Preisrutsch am chinesischen Markt. Dies könnte ein Signal dafür sein, dass sich auch am EU-Markt die Dinge ändern.

Für Stahlverarbeiter war der Mai ein weiterer Horror-Monat. Der bei vielen Stahlerzeugnissen sichtbare Versorgungsnotstand hat sich fortgesetzt. Nicht wenige Unternehmen müssen Anfragen ihrer Kunden wegen Stahlmangels ablehnen. Gleichzeitig sind die Preise am Spotmarkt weiter gestiegen. Am Flachstahlmarkt ist es ein schon fast gewohntes Bild, dass im Wochentakt Preise in einem Ausmaß erhöht werden, für das in normalen Zeiten viele Monate benötigt werden. Für kaltgewalzte und verzinkte Bleche werden mittlerweile Grundpreise von 1.300,- €/t aufgerufen -  das sind fast 50% mehr als im Peak des bisherigen Rekordjahres 2008. Die Preise für baunahe Langprodukte, die nach einem großen Sprung rund um den Jahreswechsel weitgehend stabil geblieben waren, sind im Mai vielfach um mehr als 100,- €/t gestiegen. Hintergrund ist hier vor allem ein neuerlicher starker Anstieg der Schrottpreise. 

Zwar liegt der Kern dieser Entwicklung in einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage in der EU. Die Stahlhersteller der EU haben in den vergangenen Monaten zu wenig produziert, um die Nachfrage ihrer Kunden zu bedienen. Importe werden durch die „Schutzmaßnahmen“ und Anti-Dumping-Zölle der EU gebremst. Das nun erreichte Stahlpreisniveau lässt sich aber nicht ohne die Berücksichtigung globaler Einflüsse verstehen. Die Überhitzung des Weltmarktes, maßgeblich getragen von überschießenden Stimmungen in China, haben den Preisanstieg seit Februar flankiert.

Eine große Rolle spielen seit Monaten politische Einflüsse aus dem Reich der Mitte. Das erklärte Ziel ist es dort, die Stahlerzeugung aus umwelt- und klimapolitischen Gründen auf das Niveau des Vorjahres zu begrenzen. Hierfür wurden regionale Produktionsbeschränkungen verfügt, die mit Hilfe von strengen Inspektionen überwacht werden. Dieser Schritt hat am Inlandsmarkt Sorgen vor einer Angebotsknappheit ausgelöst und die Preise befeuert. Und dies, obwohl die Stahlerzeugung de facto stark gestiegen ist und bis April um 16% über dem Vorjahr lag. Zudem hat die Regierung mit Wirkung vom 01. Mai Exportrabatte für Stahlerzeugnisse, die bisher überwiegend bei 13% lagen, weitgehend aufgehoben. Damit sollen Exporte gedämpft werden, während die Importe für einige Rohstoffe und Halbzeuge erleichtert wurden. Diese Maßnahmen, die länger erwartet worden waren, hatten schon im Vorfeld die Weltmarktpreise angeheizt. In der ersten Maihälfte führten sie zu einem weiteren kräftigen Preisanstieg bei Stahl und vorgelagerten Rohstoffen. Das am Weltmarkt erreichte Preisniveau ist nicht mit einer verbreiteten Knappheit, sondern nur mit einer völlig überhitzten, stimmungsgetriebenen Erwartung vieler Marktteilnehmer zu erklären.

So erreichten die Stahlpreise in China Mitte Mai den höchsten Stand seit 2008. Die Preise für Eisenerz stiegen im Geleit hoher Gewinnmargen der Stahlhersteller zeitweise auf ein neues Rekordhoch von ca. 230,- $/t. Die internationalen Schrottpreise sind auf über 500,- $/t explodiert. Die Knappheit in den USA und in der EU in Verbindung mit der Erwartung, dass China am asiatischen Markt künftig eher als Nachfrager statt als Anbieter auftreten werde, trieben die gesamten Weltmarktpreise in einen Rausch. Exportanbieter in vielen Regionen der Welt nutzten das für sie günstige Umfeld für saftige Preisanhebungen. Die Folge für die EU war, dass vom Weltmarkt kein ernsthafter Preiswettbewerb ausging.

Seit Mitte Mai adressiert die chinesische politische Führung aber auf höchster Ebene die hohen Stahl- und Rohstoffpreise als Problem für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. In zahlreichen Erklärungen und Gesprächsrunden wurden Anbieter zur Mäßigung aufgerufen und vor unredlichem bzw. unrechtmäßigem Verhalten gewarnt. Die Folge ist ein heftiger Preisrutsch. Die Eisenerzpreise sind in kurzer Zeit auf ca. 190,- $/t gefallen. Die chinesischen Preise für Betonstahl sind innerhalb von gut zwei Wochen um umgerechnet 170,-$/t abgestürzt, die Preise für Warmband sogar um ca. 190,- $/t. Auch die Exportpreise für Warmband befinden sich derzeit im freien Fall und haben in kürzester Zeit um mehr als 150,- $/t nachgegeben. Aktuelle Angebote liegen um 900,-$/t und damit weit unter dem Weltmarktniveau. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß dieser Rückgänge zeigen, in welchem Maße der vorgeblich enge Markt überhitzt war.

Damit liegen die Notierungen zwar immer noch auf einem hohen Niveau. Und es ist noch nicht ausgemacht, ob es sich um eine echte Wende oder nur um eine kurzfristige Reaktion handelt. Zu unübersichtlich ist aktuell die Lage am chinesischen Markt. Sollte sich aber der Abwärtstrend verfestigen oder gar noch verstärken, wird dies nicht ohne Auswirkungen auf die Preise am Weltmarkt und in der EU bleiben. Damit gibt es für Stahlverbraucher in der EU erstmals seit Monaten wieder einen begründeten Hoffnungsschimmer für ein nahendes Ende der Preisspirale. Zwar wird sich die Versorgungslage nicht auf einen Schlag verbessern, aber ein Teil der seit Februar aufgestauten heißen Luft könnte aus den Preisen entweichen. Dies gilt umso mehr für den Fall, dass die EU ihre „Schutzmaßnahmen“ gegen Stahleinfuhren nicht über den 30.06. hinaus verlängert. Die Entscheidung darüber wird im Juni fallen. Den Akteuren am Stahlmarkt steht ein spannender Monat bevor.   

© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Verwendung nur mit Quellenangabe erlaubt.

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