Stahlmarkt Consult Blog

In meinem Stahlmarkt-Blog befasse ich mich mit Neuigkeiten aus der Stahlmarkt-Welt und analysiere Trends und Marktentwicklungen.

Warum Sie Stahl-Hedging nicht im Grundsatz ausschließen sollten

Wenn vor einem stahlnahen Auditorium das Thema „Hedging von Stahl“ auf der Tagesordnung steht, dann ist eines gewiss: Die Skepsis der Zuhörerschaft, komme sie aus der Stahlindustrie oder aus den Reihen ihrer Kunden, ist groß. Alleine der Begriff „Hedging“ löst tiefgehende Abwehrreflexe aus. Befürchtet wird vielfach, dass die Finanzwirtschaft als neuer Player in die bewährten Strukturen von Stahlherstellern, Stahlhändlern und Stahlverarbeitern einbricht, um den alteingesessenen Akteuren einen Teil des Kuchens wegzunehmen. Weiter wird oft die Befürchtung geäußert, die Stahlpreise könnten bei einem steigenden Einfluss der Finanzwirtschaft von marktfremden, aber mächtigen Playern bestimmt werden, die keinen Bezug zum tatsächlichen Geschäft haben. Die dritte großer Sorge besteht darin, dass die Einführung von Finanzabsicherungsinstrumenten die Preisschwankungen verstärkt, die eigentlich eingedämmt werden sollen.

In der Summe führen diese Erwägungen dazu, dass der Einsatz von Hedging-Instrumenten zur Absicherung von Preisschwankungen beim Stahleinkauf rundweg abgelehnt wird. Diskussionen zu dem Thema werden dann mehr zu einer Abrechnung mit den Banken, als dass eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken stattfindet. Diese Haltung wird in vielen Fällen dadurch verstärkt, dass die für das Stahl-Hedging zuständigen Bankenvertreter eine große Nähe zum Finanzmarkt ausstrahlen, aber kaum dazu in der Lage sind, die Stahl verarbeitenden Unternehmen in ihrer speziellen Ausgangslage „abzuholen“.

So verständlich und nachvollziehbar die weit verbreitete Ablehnung von Hedginginstrumenten zunächst einmal ist, so riskant kann sie für jedes einzelne Unternehmen doch im Einzelfall sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob die vorgetragenen Argumente richtig oder falsch sind. Darüber lässt sich trefflich lange streiten. Entscheidend ist vielmehr, welche Risiken bestehen und wie sie am besten gehandelt werden.

Zweifellos sind in den letzten zehn Jahren die Preisschwankungen auf dem Stahlmarkt deutlich stärker geworden, wenn auch zuletzt mit wieder abnehmender Tendenz. Die Ausschläge der Eisenerzpreise in den vergangenen Monaten zeigen, dass Volatilität weiterhin ein Thema ist. Dabei sind die stärksten Schwankungen der letzten Jahre nie im Voraus prognostiziert worden. Es geht also darum, auf eine unvorhersehbare Entwicklung im Grundsatz vorbereitet zu sein. Zweitens gibt es für viele Unternehme vor allem in der Autozulieferindustrie ein beachtliches strukturelles Risiko, selbst wenn die Preisschwankungen gar nicht so stark ausfallen. Grund dafür ist der Wegfall der bis ins Jahr 2009 üblichen Jahresverträge, die mittlerweile weitgehend durch Halbjahresverträge ersetzt wurden. Das Risiko ergibt sich unmittelbar aus der Diskrepanz zwischen Halbjahresverträgen auf der Lieferanten- und Jahresverträgen auf der Kundenseite. Unterjährige Anpassungen der Artikelpreise sind nicht gänzlich ausgeschlossen, aber sehr schwierig und langwierig. Genau genommen sind es die nicht mit den Abnehmern verhandelbaren Preisschwankungen, die für Zulieferbetriebe hochgefährlich sind. Angesichts der häufig bescheidenen Ertragslage und des hohen Materialkostenanteils können unterjährige Preissteigerungen beim Vormaterial Stahl, auch wenn sie nur „klein“ ausfallen, durchaus großen Schaden anrichten.

Eine feste Kalkulationsbasis auf der Einkaufsseite ist umso relevanter, je langfristiger das eigene Geschäft ist. Dies gilt für preislich über einen längeren Zeitraum starre Preislisten ebenso wie für lang laufende Projektgeschäfte, bei denen die Auslieferung erst lange nach der vertraglichen Preisfestlegung erfolgt. Hiervon sind viele stahlverarbeitende Unternehmen auch weit über die Automobilindustrie hinaus betroffen.

In all diesen Fällen ist die Notwendigkeit für ein individuelles Risikomanagement zwingend gegeben. Hierfür stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Eine eingehende Analyse zur Risikoabschätzung und zur Abgrenzung der für das einzelne Unternehmen sinnvollen und auch durchsetzbaren Maßnahmen ist dringend zur empfehlen.

Dabei ist das Hedgen von Stahl nicht die erste Empfehlung und auch nicht die einfachste Lösung. Denn zunächst müssen viele Einzelfragen geklärt werden: Welches Risiko kann mit welchem Hedginginstrument abgesichert werden, welches nicht? Wie unterscheiden sich die Angebote der Banken? Wer im Unternehmen könnte die Durchführung übernehmen? Passt das Instrument zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens? Für einen kleinen Mittelständler, der mit dem Thema bisher keine praktische Erfahrung hat, sind die Einstiegshürden hoch. Bei Unternehmen, die bereits Währungen oder NE-Metallen hedgen, kann das anders aussehen. Obwohl die verfügbaren Hedging-Lösungen entlang der Wertschöpfungskette Stahl stark zugenommen haben, passen die angebotenen Instrumente längst nicht zu allen Stahlerzeugnissen und -güten. Auch ist die nötige Liquidität bei weitem noch nicht in allen Segmenten erreicht.

Trotzdem kann das Hedgen von Stahl in bestimmten Fällen sinnvoll sein. Denn zum Beispiel durch den Einsatz von swaps auf Basis von geeigneten Preisindikatoren kann bei den Beschaffungskosten eine feste Kalkulationsbasis und so Planungssicherheit auch über längere Zeiträume erreicht werden. Das Instrument kann unabhängig von Lieferanten und Kunden angewendet werden, die leidige Marktmachtfrage spielt keine Rolle. Auch unter weiteren Aspekten kann die Wettbewerbsposition verbessert werden. Verschiedene Banken bieten Lösungen für immer mehr Stahlerzeugnisse an und die Qualität der zugrundeliegenden Preisindizes ist gestiegen.

Eine pauschale Ablehnung des Hedgings ist umso gefährlicher, je mehr andere Instrumente der Risikoabsicherung nicht greifen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte ich an drei Beispielen veranschaulichen, wo es in der Praxis haken kann:

Das unternehmensspezifische Risiko ist umso größer, je mehr die Vertragslaufzeiten und Vertragsgestaltungen im Einkauf und im Verkauf auseinanderlaufen. Die anzustrebende Synchronizität der Vertragslaufzeiten kann aber aufgrund fehlender Marktmacht in vielen Fällen nicht hergestellt werden. Vereinbarte Preisgleitklauseln helfen nur dann wirklich, wenn sie definieren, unter welchen Bedingungen und auf welche Art einmal gemachte Preisfestlegungen auch innerhalb des Vertragszeitraums geändert werden können. Reine „Sprechklauseln“, die nur die Aufnahme von Gesprächen beinhalten, haben sich als wenig hilfreich erwiesen. Ähnliches gilt für automatisierte Preisindexierungen, die ebenfalls nur bei eindeutiger Festlegung des Basis-Indexwertes funktionieren und dann in beide Richtungen wirken müssen.

Ein weiteres wichtiges Instrument der Risikooptimierung ist es, die vorhandenen Möglichkeiten eines flexiblen Einkaufs optimal zu nutzen. Für Standardgüten mit weniger strengen Vorgaben können Zukäufe am Spotmarkt erwogen oder alternative Beschaffungsquellen erschlossen werden. Erwägenswert ist es auch, Preisfestschreibungen nicht immer für den gleichen Zeitraum, sondern zeitversetzt vorzunehmen. So ist es zum Beispiel denkbar, wenn auch nicht oft praktiziert, für Güte A den Preis ab von Januar bis Juni, für Güte B von April bis September und so weiter festzulegen. Leider ist der Stahleinkauf aber in vielen Fällen nicht so flexibel, wie es manchmal suggeriert wird. In vielen Fällen engen Kundenvorgaben und/oder fehlende Marktmacht die Handlungsmöglichkeiten drastisch ein.

Nach anfänglicher Skepsis deutlich gewachsen ist in den vergangenen Jahren die Zahl der sogenannten Resale-Programme für den Stahleinkauf und auch die Zahl der Unternehmen, die sich daran beteiligen. Dahinter verbirgt sich, dass große Stahlabnehmer den Stahlbedarf ihrer Zulieferer bündeln und dann die benötigten Mengen für diese einkaufen. Fast jedes OEM und einige große Zulieferer haben mittlerweile ein solches Programm aufgelegt. Sie erhoffen sich Kostenvorteile durch größere Einkaufsvolumina und sie erhalten für die einbezogenen Mengen vollständige Materialkostentransparenz bei den beteiligten Zulieferern. Resale-Programme werden daher von kleinen und mittleren Zuliefern sehr unterschiedlich bewertet. Teilnehmende Unternehmen reduzieren zweifellos ihre diesbezüglichen Risiken. Dafür verlieren sie ein großes Stück Autonomie. Und in der Praxis können dann neue Probleme auftreten, zum Beispiel im Falle von Reklamationen oder bei logistischen Schwierigkeiten.

Die kurze Betrachtung zeigt, dass es für stahlverarbeitende Unternehmen kein Allheilmittel zur Begrenzung des materialkostenbedingten Risikos gibt. Wer aus Prinzip die finanzmarktnahen Instrumente zur Risikominimierung erst gar nicht beachtet, engt seine Handlungsmacht unnötig ein. Wer dabei seine Risiken nicht kennt oder sie nicht anderweitig abdeckt, handelt fahrlässig. Die für die spezifischen bestehenden Risiken am besten geeigneten Optionen sollten genutzt werden. Und das selbst dann, wenn es auch der Bank nützen könnte.

© StahlmarktConsult Andreas Schneider. Nachdruck und Verwendung mit Quellenangabe ist erlaubt.

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