Stahlmarkt Consult Blog
Zeitenwende: Welt-Stahlnachfrage wächst nicht mehr
Zeitenwende am globalen Stahlmarkt: Nach vielen Jahren einer mehr oder weniger stürmischen Expansion wächst die Nachfrage praktisch nicht mehr. Grund dafür ist, dass der Stahlmarkt in China schneller als von vielen Experten erwartet sein Nachfrage-Plateau erreicht hat. Erstmals seit 1995 ist dort die Nachfrage im vergangenen Jahr gesunken. Ohne Rückenwind aus dem Reich der Mitte, auf das fast die Hälfte der Weltnachfrage entfällt, ist im globalen Maßstab zunächst einmal Stagnation angesagt. Dies zeigt der neue „Short Range Outlook“ des Weltstahlverbandes worldsteel.
Nach der worldsteel-Prognose wird der weltweite sichtbare Stahlverbrauch in diesem Jahr nur um 0,5% steigen, nachdem im Vorjahr bereits nur ein ebenso schwaches Plus von 0,6% erreicht worden war. Damit wird die schon abgesenkte Prognose vom Oktober 2014 (jeweils +2% in 2014 und 2015) weiter nach unten korrigiert. Der Markt ist de facto in eine Stagnationsphase eingetreten.
Grund für die Stagnation ist die Entwicklung in China. Nach den neuen Zahlen ist dort der Stahlverbrauch im vergangenen Jahr um 3,3% zurückgegangen und wird auch in diesem und im kommenden Jahr um jeweils 0,5% sinken. Vor Jahresfrist hatte der Weltstahlverband noch ein Plus von 3% für 2014 und von 2,7% in 2015 erwartet.
Ob die neue Vorhersage so eintritt oder erneut zu optimistisch ausgefallen ist, sei dahingestellt. Unabhängig von einzelnen Werten ist aber endgültig klar, dass China nicht mehr Wachstumstreiber am globalen Stahlmarkt ist. Die von der Regierung ausgerufene „neue Normalität“ und die niedrigeren Wachstumsraten der Gesamtwirtschaft fordern früher als vielfach erwartet ihren Tribut. Eine Änderung der Lage ist derzeit nicht absehbar. Chinesische Stahlhersteller stellen sich auf schwierige Jahre ein.
Dass es sich aus der globalen Perspektive wirklich um eine Zeitenwende handelt, zeigt folgender Vergleich: zwischen 2007 und 2014 ist der Stahlbedarf in China um fast 300 Mio. Tonnen oder 72% gestiegen. In diesem Zeitraum hat am Weltmarkt die Nachfrage um 330 Mio. Tonnen zugelegt, davon entfielen 50 Millionen Tonnen auf asiatische Länder außerhalb Chinas. Von den Ländern außerhalb Asiens kam praktisch kein Wachstumsbeitrag und das Marktvolumen liegt in fast allen Regionen immer noch tiefer als vor der Krise.
Auch wenn worldsteel im neuen Ausblick von ermutigenden Zeichen spricht, die vor allem in den Industriestaaten, Indien oder dem Nahen Osten zu finden seien: die Nachfragedynamik, die den Weltstahlmarkt in der vergangenen Dekade geprägt hat, wird wohl so schnell nicht wiederkehren. Davon abgesehen, dass Wachstumsraten über 5% in fast allen Regionen der Welt die absolute Ausnahme bleiben werden, sind die Märkte außerhalb Chinas einfach zu klein, um das globale Geschehen zu beeinflussen.
Welche Folgen hat das Mini-Wachstum für den hiesigen Stahlmarkt? Hervorzuheben sind zwei Konsequenzen. Erstens dürfte die Phase der extrem hohen Rohstoffpreise erst einmal für längere Zeit vorbei sein. Am Eisenerzmarkt, wo ein weiter steigendes Angebot auf eine bestenfalls stagnierende Nachfrage trifft, haben die Preise mit ca. 50,- $/t einen Stand erreicht, der noch vor einem Jahr kaum vorstellbar war. Die großen Minengesellschaften dürften zumindest ein Stück weit davon überrascht worden sein, wie schnell sich der chinesische Stahlmarkt abgekühlt hat. Dennoch halten sie im Großen und Ganzen noch an ihren Expansionsplänen fest.
Zweitens werden hohe Stahlausfuhren aus China und ein intensiver globaler Wettbewerb weiter ein prägendes Merkmal des Stahlmarktes sein, der nicht nur in China von Überkapazitäten geprägt ist. Dabei werden die Wettbewerbspositionen der einzelnen Hersteller und die Auswirkungen in den Regionen sehr stark von Wechselkursbewegungen beeinflusst. Der EU-Markt profitiert derzeit in hohem Maße vom schwachen Euro. Die Handelskonflikte im Stahlbereich werden noch zunehmen. In praktisch allen relevanten Märkten der Welt wird vehement ein stärkerer Schutz gegen die steigenden Einfuhren aus China gefordert.
Wie sich die Zeiten ändern. Heute werden die chinesischen Hersteller als Konkurrenten und als Last für die Branchenentwicklung empfunden. Vor zehn Jahren sah das noch anders aus. Da nahm in Deutschland der erste „Stahlpreis-Schock“ seinen Lauf. Im Januar 2004 kostete in Deutschland eine Tonne Warmbreitband ca. 320,- €/t, im März 2005 waren es ca. 535,- €/t. „Stahl ist knapp und teuer“, hieß es, und: „China kauft den Weltmarkt leer“. Die Tonne Eisenerz kostete 30,- $.