Stahlmarkt Consult Blog
Überangebot und fallende Erzpreise haben den Stahlmarkt im Griff
Stahleinkäufer waren im ersten Halbjahr 2014 in einer recht komfortablen Situation. Die Spotmarktpreise der meisten Stahlerzeugnisse blieben weitgehend konstant und notieren aktuell etwas niedriger als am Jahresanfang. Die wiederholten Versuche der Stahlhersteller, höhere Preise durchzusetzen, blieben im Marktdurchschnitt ohne Erfolg. Die wichtigsten Gründe dafür sind ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage sowie sinkende Rohstoffpreise. Eine Änderung der Marktlage ist derzeit nicht in Sicht.
Die Stahlnachfrage hat sich zwar wie erwartet leicht belebt. Doch diese Belebung kommt von einem niedrigen Niveau und ist nicht in allen Abnehmerbereichen und EU-Ländern gleich stark ausgeprägt. Vor allem aber ist das Stahlangebot stärker gewachsen als die Nachfrage. Während die Rohstahlproduktion in Deutschland in den ersten vier Monaten des Jahres um 4,3% über dem Vorjahr lag, beträgt das Plus auf Ebene der 28 EU-Staaten 6,2%. Damit ist die Produktion deutlich stärker als die Nachfrage ausgeweitet worden. Auffällig ist, dass die Produktionszunahme in einigen Ländern mit schwächerer Konjunktur besonders stark war. So weisen Frankreich und Italien ein Plus von ca. 6% aus, Spanien von fast 7%.
Es scheint sich die Erwartung zu bewahrheiten, dass der deutsche Markt noch stärker als im Vorjahr zum Ziel von Anbietern aus den schwächeren EU-Ländern wird. Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind die Stahleinfuhren im 1. Quartal gegenüber dem Vorjahr um ca. 5% gestiegen. Dagegen sind die Stahlausfuhren der deutschen Hersteller um ca. 3,6% gesunken. Insgesamt wurden im Auftaktquartal knapp 700.000 Tonnen mehr Stahl importiert als exportiert. Dies ist das höchste Quartals-Defizit seit zwei Jahren. Zudem ermöglicht der starke Euro Anbietern aus Drittländern wie Russland und China preisgünstige Angebote, die das EU-Preisniveau bei einzelnen Erzeugnissen unter starken Druck setzen. Dies führt zu einem äußerst intensiven Wettbewerb, in dem höhere Preise kaum durchzusetzen sind.
Daneben dominieren sinkende Rohstoffpreise und vor allem der unerwartet starke Rückgang der Eisenerzpreise das Geschehen. Nach einer kurzen Zwischenerholung im April haben die Preise für Eisenerz im Mai wieder nachgegeben. Der Referenzpreis für Feinerz mit 62% Fe-Gehalt ist deutlich unter die Marke von 100,- $/dmt gefallen und hat damit das niedrigste Niveau seit fast zwei Jahren erreicht. Seit dem Jahresanfang sind die Erzpreise am Spotmarkt um fast 30% gesunken. Die Quartalspreise für Kokskohle haben mittlerweile den tiefsten Stand seit 2007/2008 erreicht.
Entlang der Wertschöpfungskette Stahl haben die Rohstoffpreise nicht nur als bedeutender Faktor in Preisverhandlungen, sondern auch als Früh- und Stimmungsindikator eine überragende Bedeutung gewonnen. Sinkende Notierungen schüren die Erwartung niedriger Stahlpreise und führen zu Kaufzurückhaltung am Spotmarkt.
Auf der Basis von internationalen Spotmarktpreisen sind die rohstoffbedingten Kosten bei der Stahlerzeugung im Hochofen seit dem Jahresanfang um fast 40,- €/t gefallen. Vor diesem Hintergrund haben sich die Preise für Flachstahl im bisherigen Jahresverlauf erstaunlich gut gehalten. Ein Grund dafür könnte sein, dass - ähnlich wie in manchen Marktphasen der Vorjahre - der Rückgang der Rohstoffpreise auf dem Spotmarkt erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung bei den tatsächlichen Rohstoffkosten der Stahlhersteller ankommt. Eine Analyse der deutschen Einfuhrpreise für Eisenerz und Kokskohle spricht dafür, dass es im ersten Quartal noch nicht zu einer größeren Entlastung gekommen ist.
Am deutschen Stahlmarkt findet man derzeit kaum Faktoren, die auf höhere Preise hindeuten. Die Nachfrage zeigt sich verhalten. Der Absatz des deutschen Stahlhandels, der im ersten Quartal ca. 7% höher als im Vorjahr ausgefallen war, verzeichnete im April ein Minus. Da die Bautätigkeit im Winter witterungsbedingt kaum unterbrochen war, fällt die traditionelle Frühjahrserholung in diesem Segment offenbar schwächer aus. Die Lieferzeiten der Werke sind bei Standardgüten kurz.
Solange es nicht zu einer merklichen Rücknahme der Stahlproduktion kommt, ist eine schnelle Verbesserung der Angebots-Nachfrage-Relation nicht zu erwarten. In meinen Augen dient die wiederholte Ankündigung von Preiserhöhungen in erster Linie dem Ziel, ein Abrutschen der Preise zu verhindern. Im aktuellen Marktumfeld halte ich es – sowohl am Spotmarkt als auch mit Blick auf Kontrakte für das zweite Halbjahr - für unwahrscheinlich, dass für Flachstahl tatsächlich höhere Preise erzielt werden können. Sofern sich die Rohstoffpreise nicht deutlich erholen, könnte sich im Gegenteil der Druck auf die Stahlpreise erhöhen. Bei Flachstahl sind dann Preisreduzierungen durchaus möglich.
Bei baunahen Erzeugnissen, die im Elektroofen hergestellt werden, ist die Volatilität auf der Rohstoffseite zuletzt deutlich schwächer ausgefallen. Die Märkte scheinen sich auf dem erniedrigten Preisniveau stabilisiert zu haben. Kurzfristig sind größere Preisveränderungen nicht zu erwarten.
Einen Sonderfall stellt die Lage am Rostfrei-Markt dar (siehe dazu den Blogbeitrag vom 16.05.2014 http://www.stahlmarktconsult.de/blog/entry/alarmstufe-gelb-am-rostfrei-markt). Auch bei einigen Spezialstahl-Segmenten kann sich die Marktbeurteilung aufgrund von spezifischen Markteinflüssen etwas unterscheiden.
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